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Die Tirol-Saga
Historia eines mysteriösen Volkes von Wilden.
Von Raufbold Ötzis bitterem Ende bis zu den Helden der
Schmerzen.Im Heiligen Land im Gebirge Tirol lebt heute noch eine rätselhafte
Horde von Wilden ohne besondere Manieren in einem furchtlosen Kampf um
der Natur jeglichen Platz zu rauben.
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Die Höhepunkte dieses unbewohnbaren
Gebietes im Herzen Europas bilden ihre vielfachen Pilgerstätten des
Aberglaubens, wo sie in seltsamer Freundschaft mit ihren Göttern
verkehren, sowie ein wunderliches Todesdenken mit ausgeprägtem
Mumienkult. Den tapferen Fremden erwartet ein Land voller
außerordentlicher Naturschönheiten, in dem Leute von Geist und Bildung
seit je her gering geschätzt werden, während sie ihre unzähligen durch
Schlägereien und Saufereien zu Tode gekommenen Helden besonders
verehren.
Wo das Land liegt und warum hier überhaupt Menschen wohnen
München ist eine Weltstadt, Salzburg hat die Musik, Augsburg strahlt
vornehmes Flair aus. Verona ist die Stadt der Liebe, Venedig ist
ehrwürdig, Mailand nobel. Hier gibt es Kultur und Kunst zum Frühstück,
zum Mittagessen, die ganze Nacht hindurch. Leonardo da Vinci, Dürer,
Michelangelo, Einstein und ein weiterer unendlicher Ochsenschwanz an den
besten Geistern, welche diese Welt je hervorgebracht, hat wirkten hier,
entdeckten und erfanden. Der Mutterleib der Genialität ließ eine solche
Unzahl an überragenden Köpfen zur Welt kommen, wie kaum anderswo. In
diesem Umfeld der Kreativität enteilte der Mensch mit Meilenstiefeln dem
Tierischen.
Dazwischen liegt die Wildnis. Von welcher Richtung man auch schaut, von
München, Salzburg, Verona, Venedig türmen sich im Dunstkreis des Auges
wilde Berge als wie von Kanonen zerstörte Ruinen: Die Alpen. Der Name
bedeutet nichts anderes als „Berg“. Die ersten Bewohner der Ebenen
fanden kein treffenderes Wort.
Das Land, von dem hier besonders die Rede ist, nannte man seit alters
das „Land im Gebirge“ und seine Bewohner die „Menschen im Gebirge“. Es
erstreckt sich einer uneinnehmbaren Festung gleich durch das Herz
Europas über zweihundert Kilometer von Norden nach Süden und in gleicher
Weite von Osten nach Westen. An diesen beiden Seiten gibt es noch
gleiche Gestade in denen Menschen ähnlicher Gesinnung leben. Es ist eine
traurige Unwiderlegbarkeit, dass die meisten Menschen diesem Land in
grundlosem Unwissen gegenüberstehen.
Das Land im Gebirge ist in Wirklichkeit unbewohnbar. Die Gegenden sind
so steil, dass sie auch unregierbar sind und sie sind durch und durch
wertlos. Es gibt kein Meer, kein Gold, kein Öl, keine Schätze. Dass sich
hier Menschen aufhalten, ist für jeden Fremden eigentlich unvorstellbar.
Gerade deswegen wurden sie bewohnt, weil jeder normal Vernünftige
ausschließen musste, dass hier jemand überlebte. Jeder aus den
umliegenden Gebieten aus irgendwelchen Gründen Verjagte, jeder Halunke
und Streitbold, Meuchelmörder und Revolutionär konnte davon ausgehen,
dass man ihn einzig und allein hier, und sonst nirgendwo, unbehelligt
ließ. Die Anderen in den weiten europäischen Ebenen Lebenden konnten
dagegen annehmen, dass diese Steinwüsten und Gletscherhöllen mit jedem
innerhalb kürzester Zeit fertig werden würden. All diesen Irrtümern und
Missverständnissen ist schlussendlich die Besiedelung dieses wilden
Landes im Gebirge zu verdanken.
Es liegt im Wesen der Frau selbst den Abschaum der Menschheit bemuttern
zu wollen, um aus ihm etwas Besseres zu machen. Im Soge all dessen zog
es auch Weiber in diese Berge. So fanden die größten Räuber doch
irgendeine Windsbraut, meistens gar keine schlechte, und sogar ihrer
viele. In den Augen der Frauen wurden aus Banditen und Raufbolden
schnell verwegene und ehrliche Abenteurer, aus Aufrührern und
Querdenkern gerechte Helden. Aus solchen Genen stammen ihre Kinder.
Besondere Neigungen für Kultur und Anstand waren weder erwünscht noch zu
erwarten. Die Natur verlangte andere Fähigkeiten.
Die Angst der ältesten Chronisten vor einem Volk von Säufern
Schriftstellerische Ergüsse auswärtiger Autoren, welche sich mit der
Geschichte dieses Bergvolkes aus irgendwelchen Gründen befassten,
endeten trotz vieler guter Vorsätze zumeist nur in einer
Aneinanderreihung kaum für möglich zu haltender Schlechtigkeiten.
Schon dem römischen Schreiber Marcus Porcius Cato Maior (234-149 v.
Chr.) stach lange vor Christi Geburt ein sonderbares Bergvolk ins Auge.
Mögen die spärlichen Beschreibungen, abgesehen von ihrem mutmaßlichen
Alter, nicht von großer Bedeutung sein, so fördern sie trotzdem von
Anfang an einen erstaunlichen Wesenszug zutage:
«Cato lobte in den Briefen, die er seinem Sohn schrieb, besonders den
rätischen Wein.“ In die gleiche Kerbe schlug der noch berühmtere
griechische Chronist Polybios von Megalopolis. Der Wein war diesen
Wilden etwas vom Wichtigsten. Die Pflanzen hegen, pflegen und veredeln
sie heute noch wie sie es kaum einmal mit ihren Frauen tun. Da die
Nachfrage so groß ist, werden überall wo nur einigermaßen möglich
Trauben angebaut. Diese werden in Fässer abgefüllt, gut verschlossen,
dass sie von selbst zu gären beginnen und stark werden. Das daraus
hervorgehende Getränk wird in weit entfernte Gebiete mit hohem Gewinn
verkauft. Es gibt vielerlei Sorten von Wein, den sie nach den Gegenden,
wo er vorkommt, benennen: Kalterer, Lagrein, Traminer gehören zu den
bekanntesten. Erstaunlichweise wird in diesem Land auch alles andere,
was von Natur dazu leidlich geeignet ist, zu Alkohol vergoren. Dazu
gehören Schnäpse aus Äpfeln, Birnen, Aprikosen und aus anderswo
vollkommen unbekannten und staunenswerten Wurzeln und Beeren wie
Wacholder, Meisterwurz und Enzian.
Einziger Sinn dieser betörenden Getränke ist zu berauschen, was diesen
Wilden wichtig ist. Sie sagen, es sei die brauchbarste Möglichkeit, um
ihren Geist und Verstand höheren Sphären zuzuführen. Obwohl es in
anderen Ländern für denkende Menschen viel ungefährlichere Methoden
gibt, wollen sie dem keinen Glauben schenken. Man gewinnt sogar den
Eindruck, dass bei diesen Wilden die größten Trinker am meisten verehrt
und geschätzt werden und den höchsten Rang einnehmen. In den dazu
gehörenden Bräuchen haben sie es zu hoher Meisterschaft gebracht. Sehr
oft kommt es zu größeren Raufereien, wobei Unschuldige durch die
anschließenden wilden Rasereien zu Tode kommen. Doch gilt dies bei den
Eingeborenen als Geringfügigkeit und wird geflissentlich als nicht allzu
schlimm empfunden.
Jeder findet im Laufe seiner Reisen allerorts genügend Gelegenheit sich
mit der Historia ihrer Trunksucht und ihrer Trinkgelage zu beschäftigen.
Deshalb sei dem Fremden aufgetragen es zu halten wie beim Anblick eines
Bären in der Wildnis. Je weniger man ihnen bei ihren Gelagen Beachtung
schenkt und sich ruhig hält, desto höher ist die Aussicht, den Wilden zu
entkommen. Je heftiger man sich wehrt, desto mehr erheitern sich für
gewöhnlich die rohen Kumpanen.
Es scheint Sitte zu sein, beim Saufen sehr hilfsbereit und
entgegenkommend zueinander zu sein. Wer mehr Geld hat, lädt freigebig
die anderen mit ein. Solch ein Gelage kann eine ganze Nacht anhalten und
noch länger, wobei sie hemmungslos tanzen und ein fürchterliches
Geschrei machen. Es macht ihnen scheinbar wenig aus, wenn ihnen hernach
speiübel ist und sie sich todelend fühlen.
Manchmal machen ihre Weiber freiwillig bei diesen Trinkgelagen mit,
zumeist sind sie selbst Opfer und werden fürchterlich begrapscht und an
ihren begehrlichen Stellen erregt. Es ist allgemeiner Brauch
neugeborenen Kälbern ein Glas Schnaps einzuflössen, um sie für ihr
weiteres Leben zu kräftigen. Gleiches machen sie mit ihren kranken
Tieren. Zudem ist es Sitte die Weinreben zu besprechen, um damit
Ungezieferbefall vorzubeugen.
Wie wichtig es in diesem Land ist Held zu sein
Die Eingeborenen dieses Landes im Gebirge waren immer schon ein
heldenhaftes Volk, wo das Heldsein als Beruf verstanden wird. Es gehört
für jeden, der etwas auf sich hält dazu, unter Todesgefahr Abenteuer zu
bestehen, oder wenigstens davon zu erzählen. Blickt man in die Bücher
der Geschichte dieses Volkes, so wird einem schnell bewusst, wie gering
sie ihre Schriftsteller, Maler, Erfinder und Denker immer schätzten und
wie sie ihre Helden über alle Maßen verherrlichten. Durchdachte
Kriegskunst ist ihnen allerdings fremd. Jeder einzelne vertraut immer
einzig und allein auf seine eigene Heldenkraft und Körperstärke. An
Waffen sind sie nie verlegen und nehmen, was sich gerade anbietet:
Gabeln und Sensen, Dreschflegel und Beile bis hin zu Stöcken und
Steinen. In den Augen der anderen galten diese Wilden als stolzes,
listiges Volk, das stets bereit war, selbst unter Preisgabe des eigenen
Lebens, jeden zu verfolgen und ihm den Schädel einzuschlagen.
Kann einmal einer dieser Menschen leidlich schreiben, so setzt er all
diese Kenntnisse dafür ein um seine eigenen Heldentaten zu
verherrlichen. Ist seine Geisteshöhe zu dem nicht fähig, ist es
unbeschämender Brauch unter eigenem Namen jemand anderen dies tun zu
lassen.
Seit je her laben sich diese Menschen am Traum großartiger Heldentaten
und nähren sich im Glauben, dass das Gute das Böse besiegt, einem
Märchen grenzenloser Liebe und ritterlichem Geist. Jeder in diesem Land
fühlt sich als Held und sei es auch nur in seiner Gruppe oder gar nur
für sich selbst.
Über die verschiedenen Besonderheiten der Presse und Gott als
Zeitungsherausgeber
Lieber Leser! Die Bewohner dieses Landes bedurften lange keiner Presse,
weil ein Volk, das seit jeher so vom Rest der Welt abgeschieden war, die
wenigen anfallenden Dinge leicht im Gedächtnis bewahren konnte. Erst
spät und wohl auch nur deswegen, weil die Geistlichkeit feststellte,
dass Gott eine Plattform zur Verbreitung seiner Gedanken und Botschaften
gegeben werden musste, besann man sich auf die Herausgabe von Zeitungen.
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Fragt man die Menschen nach der besten Zeitung im Land, so herrscht die
Meinung vor, es gäbe keine gute aber auch keine schlechte. Keine richte
größeres Unheil an, wie auch keine größeren Nutzen bringe. Es sei wie
mit dem Glauben und der Kirche. Noch nie habe das Herunterleiern der
Predigten, das monotone Herablesen des Evangeliums, der Lesung und der
Gesänge jemandem sonderlich etwas eingetragen, wie auch niemand ohne all
dem zu Schaden gekommen wäre.
Ihre neuesten Nachrichten sind, wie das Evangelium bei der Heiligen
Messe am Sonntag, allesamt sehr vorhersehbar und das Lesen eine
ermüdende Angelegenheit. Nach der ersten Hälfte beim Lesen der Zeitung
wie bei der Teilnahme am Gottesdienst täuschen die Menschen noch rege
Aufmerksamkeit vor, weil sie glauben, die Augen der anderen seien auf
sie gerichtet und es sei nicht schicklich durch ein Verlassen der Messfeier oder ein Weglegen der Zeitung aufzufallen. Das froheste
Erlebnis ist jener Augenblick, in dem der Priester mit göttlichem Segen
die Menschen verabschiedet oder wenn der Leser am Ende beim Betrachten
der Todesanzeigen feststellt, dass er nicht dabei ist.
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Vom Weltgeschehen passiert gewöhnlich das, worüber von anderen Zeitungen
überall auf der Welt berichtet wird, dann folgt ein vorhersehbarer
Lokalteil mit „Landeshauptmann eröffnet Schule“, oder auch
Feuerwehrhalle, Kulturhaus, Altersheim in beliebiger Mutation, dazu noch
„Landtag wird morgen zusammentreten“, oder heute, oder um zehn Uhr. Neue
Gesetze wurden beschlossen, zumeist um den Bürger etwas aus der Tasche
zu ziehen, oder Verbote mitzuteilen. Dann gibt es Hinweise auf irgendein
Volkstheater, Lustspiel, Konzert. Die Speisekarte ist beliebig
austauschbar. Der Sport berichtet von Lokalgrößen und vielerlei
Hoffnungen. Die Leser freut es, wenn endlich wieder einmal ein richtiger
Mord, ein Verbrechen oder ein größerer Unfall stattfindet. Das wird
besonders gerne gelesen. Todesanzeigen folgen am Ende je nach
Sterbemenge und tragen zum größten Teil zur Abdeckung der
Erhaltungskosten einer Zeitung bei. Es gilt in diesem Land, dass man
erst richtig gestorben ist, wenn seine Todesanzeige in der Zeitung
abgebildet ist.
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Der Tiroler will keine gute Zeitung, besonders keine, welche kritisiert.
Wohl aber will er sich stundenlang ereifern, dass er keine gute hat.
Versucht wirklich ein neu gegründetes Journal auf der Suche nach neuen
Kunden bissig zu sein, dann verkünden ihre Politiker einmütig, dass sie
mit diesem Revolverblatt nicht mehr sprechen würden. Unabhängig davon
erklären die lokalen Parteigrößen, dass sie mit dieser Mistgazette nicht
mehr sprechen und sie selbstverständlich auch nicht kaufen werden, und
selbst die Bauern, die Wirtschaftstreibenden und die Arbeiter kommen
unabhängig zur Ansicht, dass sie solch ein verlogenes Geschreibsel weder
kaufen, noch lesen und selbstverständlich streng kontrollieren würden,
wer es kaufe. Richtigerweise sind allzu kritische Redakteure bei einem
so einigen Volk, das von Natur aus Tugend und Treue zugeneigt ist, nicht
erwünscht und werden rechtzeitig entfernt.
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